160 Jahre H. Ottens GmbH & Co. KG

Im 19. Jahrhundert existierten in Horst etliche kleine Spinnereien. Bis auf diejenige, die Hermann Ottens gründete, stellten alle Firmen bis ca. 1910 ihren Betrieb ein.

Hermann Ottens (1828 – 1913) begann 1856 einen Handel mit Wollgarn. Bald beschloss er, eine eigene Spinnerei aufzumachen. Er erwarb einfache, handbetriebene Maschinen. Sie wurden in einem Anbau seines Elternhauses in der Bahnhofstraße aufgestellt und am 09.10.1864 in Betrieb genommen.

1872 wurde auf dem heutigen Gelände der Firma das erste, recht kleine Fabrikgebäude gebaut. Die Spinnerei wurde auf Dampfbetrieb umgestellt. Um 1884 wurden die fünf bisher verwendeten kleinen Spinnmaschinen durch eine fast vollautomatisch arbeitende Wagenspinnmaschine ersetzt. Zudem wurde mit der Produktion von Kammgarnen begonnen.

Am 01.10.1888 übernahmen August Koch und Peter Struve die Firma. Die steigende Nachfrage ihrer Qualitätsprodukte führte dazu, dass in den Folgejahren weitere Fabrikgebäude gebaut und zusätzliche, effizientere Maschinen angeschafft wurden. 1899 wurde eine eigene Färberei eingerichtet.

Während des 1. Weltkriegs stand der Betrieb still. Am 01.04.1919 übernahmen Heinrich Koch, Hermann Koch und Martin Piening die Firma. Sie startete ihre Produktion auf zum Teil mittlerweile veralteten Maschinen. Sie überstand die Inflation und investierte in den Folgejahren stark in neue Gebäude und Maschinen. 1925 wurde die Abteilung Strickerei nach Elmshorn in ein neu errichtetes Gebäude verlegt, weil in Horst nicht mehr genügend Arbeitskräfte zur Verfügung standen. 1929 erhielt die Horster Fabrik eine neue Wasseranlage mit dem heute noch existierenden Wasserturm.

Den drei Eigentümern gelang es, die Produktpallette immer wieder den neuen Modeströmungen anzupassen und hochwertige, unter dem Namen „Horstia“ beworbene Ware anzufertigen. Engagierte Handelsvertreter sowie regelmäßig versendete Preislisten sorgten dafür, dass die Produkte deutschlandweit nachgefragt wurden. Anfang der 1930er Jahre lief das Strumpfgeschäft so gut, dass zeitweilig in Neumünster, in Thüringen und in der Eifel Lohnbetriebe mit der Fertigung beauftragt werden mussten. Seinerzeit waren etwa 400 Personen für die Firma tätig.

Weil der Import von Wolle aus Übersee beschränkt wurde, musste das Unternehmen nach 1933 neuartige Fasern wie die Zellwolle den Produkten beimischen. Mit Ausbruch des 2. Weltkriegs wurden viele Fabrikarbeiter und auch Hermann Koch zum Wehrdienst eingezogen. Die Firma musste ihre Produktion an die Vorgaben der zentral gelenkten Kriegswirtschaft anpassen. Immer wieder kam es zu Engpässen bei der Beschaffung von Betriebs- und Brennstoffen, Ersatzteilen sowie Grundstoffen für die Produktion. Martin Piening verstarb 1941, so dass Heinrich Koch in den folgenden Kriegsjahren den Betrieb allein leiten musste.

Das Firmengelände überstand den Krieg unversehrt. Nach Kriegsende wurden die Privathäuser von Heinrich und Hermann Koch sowie das Betriebsgelände vom englischen Militär besetzt und große Teile des Rohmaterials beschlagnahmt. 1946 durfte die Firma ihre Produktion wieder aufnehmen.

Am 01.01.1955 wurden Gerd Koch, Karl-Heinz Piening und Klaus Thormählen Mitinhaber des Unternehmens. Es wurden modernste Maschinen angeschafft, ein neues Gebäude für die Spinnerei und eins für die Färberei errichtet, das Büro erweitert und modernisiert sowie die Kesselanlage auf Ölfeuerung umgestellt. Zudem wurden etliche Werkswohnungen gebaut. Ab 1957 erhielten Mitarbeiter, die mindestens 25 Jahre im Betrieb tätig gewesen waren, eine Firmenrente.

1961 schied Karl-Heinz Piening auf eigenem Wunsch aus der Firma aus. Wenig später gingen Heinrich und Hermann Koch in ihren wohlverdienten Ruhestand.

Am 09.10.1964 wurde das 100-jährige Firmenjubiläum mit einem großen Empfang im „Deutschen Haus“ gefeiert. Es wurden viele Ansprachen gehalten und eine große Anzahl langjähriger Mitarbeiter geehrt. Zudem wurde eine lesenswerte Festschrift veröffentlicht.

In den folgenden Jahren musste das Unternehmen auf den durch billige Importe hervorgerufenen Preisverfall für Textilprodukte reagieren und immer wieder seine Fertigung sowie Produktpalette den neuen Gegebenheiten anpassen.

1979 schied Gerd Koch aus Altersgründen aus der Firma aus. An seine Stelle trat Dr. Gerd Thormählen. In den 1980er Jahren stieg die Nachfrage nach Wollprodukten kurzzeitig so stark an, dass gebrauchte Maschinen zugekauft und in Betrieb genommen wurden. Kurze Zeit später wurde die Nachfrage jedoch immer geringer. Das Unternehmen musste nach und nach Betriebsteile schließen. Einige Gebäude wurden zu Wohnungen umgebaut.

Im Sommer 2021 hat das Horster Ortsarchiv eine Auswahl der interessantesten Firmenunterlagen in seinen Bestand übernommen.

Bis 2022 hat die Firma alle verbliebenen, unter dem Namen „Horstia“ bekannten Produkte noch selbst hergestellt. Sie sind auch heute noch in einem auf dem Fabrikgelände gelegenen Laden und im Internet erhältlich.

Vom April bis zum September 2024 wurde der größte Teil der alten Fabrikgebäude abgerissen. An ihrer Stelle sollen Wohngebäude entstehen. Der markante Wasserturm, die Pförtnerloge und andere Bauten im Eingangsbereich des Firmengeländes blieben erhalten. Sie stehen zusammen mit den drei Privathäusern der (ehemaligen) Firmeninhaber unter Denkmalschutz.

Im Oktober 2024 wurde die Firma H. Ottens GmbH & Co. KG 160 Jahre alt. Der jahrzehntelang größte Arbeitgeber von Horst ist somit aktuell vermutlich auch das älteste, hier gegründete und noch aktive Unternehmen der Gemeinde.

  • 1

    Fabrikgebäude um 1890, Urheber unbekannt

  • 2

    Strumpf-Strickerei in Elmshorn, um 1930, Urheber unbekannt

  • 3

    Betriebsausflug Ottens & Co nach Burg (Dith.), Anfang 1930er Jahre, Urheber unbekannt

  • 4

    Preisliste Nr. 70 für Horstia-Wollgarne vom 15.02.1933

  • 5

    Firmenwagen und Belegschaft beim Festumzug am 01.05.1935, Urheber unbekannt

  • 6

    Eingangsbereich zum Firmengelände, 1939, Urheber unbekannt

  • 7

    Belegschaft und Firmeninhaber, Tag der Heimat am 19.08.1951, Urheber unbekannt

  • 8

    Festumzug am Tag der Heimat, 19.08.1951, Urheber unbekannt

  • 9

    Luftbild Betriebsgelände Ottens & Co sowie Meierei, um 1960, Urheber unbekannt

  • 11

    Einladung zur Feier des 100-jährigen Bestehens am 09.10.1964

  • 12

    Trocknerei, Datum und Urheber unbekannt

  • 13

    Färberei, Datum und Urheber unbekannt

  • 14

    Produktion, Datum und Urheber unbekannt

  • 15

    Brigitte Dreyer an der Haspel, 2014, Foto Anja Krüger

  • 16

    Färbermeister Wolfgang Stier, 2014, Foto Anja Krüger

  • 17

    Erstellung von Wollknäulen, 2014, Foto Anja Krüger

  • 18

    Verpackung für den Versand, 2014, Foto Anja Krüger

  • 19

    Lager mit Rohgarn, 2014, Foto Anja Krüger

  • 20

    Lager mit fertiger Ware, 2014, Foto Anja Krüger

  • 21

    Wegweiser zum Fabrikladen, 2014, Foto Anja Krüger

  • 22

    Fabrikladen, 2014, Foto Anja Krüger

  • 23

    Altes Werbeschild für Horstia-Socken und -Strümpfe, 2014, Foto Anja Krüger

  • 24

    Werbeschild für die auf dem Fabrikgelände geplanten Wohnhäuser, 30.01.2024, Foto Michael Krueger

  • 25

    Fabrikgelände nach dem Abriss nicht mehr benötigter Gebäude, 07.11.2024, Foto Michael Krueger

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